Führungskräfte sind in Norwegen weniger Entscheidungsinstanz als vielmehr Teamplayer, die vielfältige Aufgaben übernehmen. Sie müssen es verstehen, dem Team den Nährboden zu schaffen, den es zum Erreichen der gemeinsamen Ziele benötigt. Entscheidungen treffen sie überwiegend im Konsens mit ihren Mitarbeitern. Nur wenn sich die Gruppe nicht einigen kann, wird der Chef allein oder in kleiner Runde zum definitiven Entscheider.
Verdeckte Strukturen erkennen
Wer als deutschsprachige Führungskraft neu in einem Unternehmen in Norwegen beginnt, wird sich vermutlich zuerst einmal über den vermeintlich ›chaotischen Haufen‹ wundern, den es zu führen gilt. Es wäre einer der größten Anfängerfehler, als ausländischer Vorgesetzter hier sofort ›aufräumen‹ und klare Strukturen nach eigenem Vorbild einführen zu wollen.
Um nicht schon zu Beginn das Vertrauen der Mitarbeiter aufs Spiel zu setzen und möglicherweise an Ansehen zu verlieren, sollten Sie sich unbedingt ausreichend Zeit lassen, um verdeckte Strukturen und Abläufe besser kennenzulernen. Sie werden schnell feststellen, dass es zwar keine klaren Abgrenzungen von Positionen und Aufgaben gibt, Ihre norwegischen Mitarbeiter aber viel Wert auf ein harmonisches Miteinander legen und ihre Arbeit stets zielorientiert erledigen.
Großer Handlungsspielraum
Entscheidungen innerhalb ihres Aufgabenbereiches treffen sie weitgehend selbst, selten werden Sie als Chef über den aktuellen Stand eines Projektes auf dem Laufenden gehalten. Ihre Mitarbeiter sind es gewohnt, selbstständig und eigenverantwortlich zu arbeiten, auf Norwegisch heißt das ›frihet under ansvar‹ ‒ ›Freiheit unter Verantwortung‹. Kontrolle, Druck und autoritäres Auftreten sind in Norwegen unangebracht, man reagiert darauf mit Unverständnis und Ablehnung.
Eine norwegische Führungskraft versteht es, mange baller i luften, also viele Bälle in der Luft zu halten. Wichtig ist dabei, das Team zu koordinieren, Entscheidungen zu delegieren und selbst Teil des Teams zu werden. Vieles wird in Norwegen pragmatisch in Projektarbeit organisiert. Verantwortung wird nicht den Positionen gemäß übertragen, sondern flexibel und spontan dort vergeben, wo man es für effektiv und praktisch hält.
Verteilen Sie demnach die Arbeitsaufgaben nur grob, auch Entscheidungsbefugnisse werden projektbezogen nach unten weitergereicht. Definieren Sie außerdem Ihre Ziele für alle klar und verständlich, mit langen Fristen und Terminen.
Primus inter Pares
Autorität, Einfluss und Macht gewinnt man in Norwegen nicht automatisch durch die Position, man muss sie sich erst in der Gruppe verdienen. Nicht Ihr Titel verschafft Ihnen Autorität, sondern vor allem Ihre fachliche Kompetenz.
Statt von einer formalen spricht man hier von einer verdeckten Hierarchie. Darüber hinaus werden Ihre Mitarbeiter Sie wegen Ihrer sozialen Kompetenz schätzen, das heißt, inwieweit Sie es verstehen, persönliche Beziehungen aufzubauen.
Kurz: Werden Sie zum Primus inter Pares, zum Ersten unter Gleichen. Nur wer es versteht, sich auch als Vorgesetzter einzufügen und seinen Rang nicht hervorzuheben, gewinnt das Vertrauen seiner Mitarbeiter, das für eine erfolgreiche Projektdurchführung notwendig ist. Ein deutscher Geschäftsführer, der einige Jahre in Norwegen arbeitete, beschrieb es einmal so: ›Ein Geschäftsführer in Norwegen muss jede Woche beweisen, dass er sein Amt tatsächlich bekleiden kann. In Deutschland müssen die Mitarbeiter jede Woche beweisen, dass sie ihre Jobs behalten sollten.‹
In der Praxis sieht man das darin, dass sich alle duzen. Oft hat der Vorgesetzte seinen Schreibtisch nicht im abgeschiedenen Büro, sondern möglichst nah bei seinem Team stehen. Um Flexibilität, Kreativität und Teamgeist zu fördern, gehen immer mehr Unternehmen zu offenen Bürolandschaften über, in der weder Chef noch Mitarbeiter feste Arbeitsplätze haben.
Grenzen zwischen Führungskraft und Team
Wo sichtbare Rangunterschiede fehlen, verlaufen auch die Grenzen zwischen Führungskraft und Team fließend, eine deutliche Abgrenzung lässt sich somit nur schwer ausmachen. Nicht selten sind Vorgesetzte und Mitarbeiter auch in sozialen Netzwerken wie Facebook, Twitter oder LinkedIn miteinander ›befreundet‹ und halten sich dadurch gegenseitig über persönliche Begebenheiten auf dem Laufenden.
Gute Führungskräfte verfügen über ein funktionierendes Netzwerk. Wer sich kennt, vertraut sich. Auf dieser Ebene lassen sich viele Dinge schnell und unkompliziert regeln.
Eine fehlende Abgrenzung verringert jedoch nicht automatisch die Distanz zwischen den unterschiedlichen Positionen. Ein Lagermitarbeiter wird den vorgeschriebenen Dienstweg einhalten und sich nicht direkt an den obersten Chef wenden. Dies zum einen aus einem natürlichen Respekt heraus und zum anderen, weil sein unmittelbarer Vorgesetzter auch sein erster Ansprechpartner ist, und nicht übergangen werden sollte.
Unstimmigkeiten mit Mitarbeitern
Mangelndes Vertrauen und Ansehensverlust bergen das größte Konfliktpotenzial in der Zusammenarbeit zwischen deutschsprachigen Führungskräften und norwegischen Mitarbeitern. Als Vorgesetzter werden Sie nicht immer gleich feststellen, dass ein Konflikt entstanden ist. Norweger ziehen sich zurück, reagieren empfindlich und passiv. Das ist insofern eine unglückliche Entwicklung, weil der Arbeitsmarkt für Fachkräfte in Norwegen hervorragend ist und sich ein Mitarbeiter, der unzufrieden ist, über kurz oder lang eine neue Stelle suchen wird.
Es kann aber auch vorkommen, dass Sie vom Betriebsrat( HMS-ansvarlig) über mögliche Unstimmigkeiten in Kenntnis gesetzt werden, da die Pflege des Betriebsklimas zu einer seiner Hauptaufgaben zählt. Nehmen Sie die Vorwürfe ernst, denn der Einfluss des Betriebsrates sollte nicht unterschätzt werden. Schließlich sind auch Sie an einer angenehmen Arbeitsatmosphäre interessiert.
Es ist unerlässlich, dass Sie viel Zeit in den Aufbau persönlicher Beziehungen investieren. Gehen Sie sorgsam mit erworbenem Vertrauen um und hüten Sie sich davor, Norweger direkt und offen – und vor allem nicht vor anderen Kollegen – zu kritisieren.
Wenn Sie Schwierigkeiten mit der norwegischen Projektorganisation haben, denken Sie daran, dass das Ergebnis das Ziel ist. Sollten Ihnen regelmäßige Statusberichte und das Einhalten von Fristen und Terminen besonders wichtig sein, diskutieren Sie das offen mit Ihrem Team. Es lässt sich bestimmt ein Kompromiss finden, mit dem alle leben können.
Autorin: Julia Fellinger – Die freie Journalistin Julia Fellinger leitete zwei Jahre lang die Kommunikationsabteilung der Deutsch-Norwegischen Handelskammer in Oslo. Sie gibt interkulturelle Trainings spezialisiert auf interkulturelle Kompetenz Deutschland und Norwegen.
Auszug aus dem Buch Geschäftskultur Norwegen kompakt, CONBOOK
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