Indische Mitarbeiter integrieren

Indische Mitarbeiter integrieren

„Den ganzen Weg von Indien hierher habe ich gemacht und dann, nach dem ersten Tag in der Firma, dachte ich, sie wollen mich doch hier nicht haben!“

„Jeden Tag bin ich mit Druck im Magen ins Büro gegangen. Mein „room mate“ wechselt nie ein Wort mit mir. Er grüßt und verabschiedet sich freundlich, aber sonst schweigt er immer… Ich spreche eigentlich nur mit den anderen indischen Kollegen und Kolleginnen beim Mittagessen. In die Kantine gehen wir nicht, mehrere von uns sind Vegetarier. Wir lassen sie nicht alleine und essen miteinander in einem separaten Raum… Aber in der Firma sagen sie alle, dass wir Deutsch lernen sollen…“

„Diese Kälte und die Dunkelheit schon um 4 Uhr nachmittags… Und abends keine Freunde, nichts. Allein in diesem 1-Zimmer-Appartement…“

„Mein Chef ist ein netter Herr, der etwas älter als mein Vater ist. Er sagte mir, ich könne mit jeder Frage zu ihm kommen. Aber… wie sollte ich ihn fragen, zu welchem Frauenarzt ich gehen kann? Ich bin Ingenieurin, in unserem Team gibt es keine Frau. Ich wusste nicht, was ich machen soll und wen ich fragen kann…Ich hätte mich so geschämt, so etwas anzusprechen! Es ist schwer, dann alleine zu sein…“

„Als ich die Gegend gesehen habe, in der meine Unterkunft war, war ich so enttäuscht…Und nachts ist es so dunkel und fast niemand auf der Straße. Ich habe richtig Angst. Ich dachte: Nie kann ich meinen Eltern zeigen, wo ich wohne! Und die planen in zwei Monaten, mich zu besuchen. Niemand scheint sich bei der Relocation Firma oder in der Personalabteilung darum zu kümmern, einen anderen Ort für mich zu finden. ‚Aber da leben alle unsere Werksstudenten!‘, sagte mir die Personalreferentin. Ich bin doch kein Student mehr… Ob es richtig war, nach Deutschland zu kommen?“

Wie werden Erfahrungen in Deutschland tatsächlich wahrgenommen?

Die Liste könnte fortgesetzt werden: Die Liste der Erfahrungen, die Inderinnen und Inder mir mitgeteilt haben, nachdem ich nicht nur nachfragte, sondern auch insistierte, damit sie mir wirklich mitteilten, wie es ihnen ergangen ist. Dort in Deutschland, am Anfang, als sie ankamen.

Warum musste ich insistieren, um ihre realen Erfahrungen zu hören? Weil meine indischen Gesprächspartner aus Respekt mir und ihrem Arbeitgeber gegenüber nur ungern Negatives mitteilen wollten. Denn dies bedeutet aus indischer Sicht, dass das Gegenüber sich mit Unangenehmem beschäftigen muss. Man bevorzugt eigentlich, andere mit Angenehmem zu beglücken – vor allem, wenn man sie respektiert, gerne hat oder noch nicht so nahe kennt. Und jemanden, dem man mit Loyalität verbunden ist, in ein schlechtes Licht zu rücken, oder Negatives ans Licht zu bringen, sollte möglichst vermieden werden. Dies könnte wie ein Vertrauensbruch oder wie Verrat erscheinen.

Persönliche Probleme und der Ruf des Unternehmens

Möglicherweise könnten Menschen, die bisher wenig mit Indien zu tun haben, sich denken: Das sind aber persönliche Probleme, gar Problemchen … Oder: Uns geht es in der Arbeit auch nicht immer gut… Wir mögen auch nicht alle unsere Kollegen! Wir müssen in Indien mit der Hitze kämpfen, sie kämpfen hier mit der Kälte, was soll‘s … Und so weiter.

Nun ich möchte hier erklären, wie diese „persönlichen“ Fragestellungen, diese „Problemchen“ direkt mit dem Ruf Ihres Unternehmens als „employeur of choice“ in Verbindung stehen und weshalb sich darum zu kümmern eine Kernaufgabe der Personalabteilung und der Führungskräfte ist – ggf. über externe interkulturell kompetente Dienstleister.

Ganz bewusst habe ich die hier aufgeführten Themen ausgesucht und keine Beispiele aus dem Coaching mit Topmanagern oder aus virtuellen Teamtrainings genommen, weil diesen Situationen aus dem Arbeitsalltag oft nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Die indische Kultur bringt uns Europäern bei, wie alles Wesentliche zusammenhängt, so die oben erwähnten „persönlichen Problemchen“ mit der Qualität der Kandidaten für Ihren indischen Standort in Bengaluru oder Delhi.

Aus der indischen Perspektive sieht der implizite Kontext so aus: Wenn sich ein junger Mensch im Auftrag eines Unternehmens weit weg von seiner Familie aufhält, ist es Aufgabe des Arbeitgebers, die Bedürfnisse, die er / sie hat, um sich im Arbeitsalltag wohl zu fühlen, zu erfüllen. Der Chef oder stellvertretend die Personalabteilung muss jedem die Rahmenbedingungen bieten, die grundlegend wichtig sind, um sich in der neuen Situation zurechtzufinden und leistungsfähig zu bleiben. Wer dies nicht tut, kommt seiner Pflicht (duty – In der indischen Kultur ist die Erfüllung der individuellen „duty“ auch ein Beitrag zur Harmonie des Ganzen) nicht nach, und ist damit unprofessionell.

Persönliche Belange sind – bis zu einem gewissen Grad – demnach genauso wichtig wie berufliche, damit sich jeder Mitarbeiter als Individuum respektiert fühlt. Es geht um Grundsätzliches, nicht nur um konkrete Lösungen für den Alltag.

Wer sich von seinem Arbeitgeber missachtet fühlt, wird nicht motiviert sein, für ihn zu arbeiten, sondern wird woanders hingehen, sobald sich die Gelegenheit bietet. Ich brauche hier nicht zu erwähnen, dass das z.B. für IT-Ingenieur/-innen oft der Fall ist.

Unterschiedliche Definition der Fürsorgepflicht

In Deutschland hat der Arbeitgeber auch eine Fürsorgepflicht, die in bestimmten Fällen auch persönliche Themen berühren kann. Der Unterschied liegt jedoch in der Definition dieser Belange. In Deutschland ist die Trennung zwischen Beruflichem und Privatem sehr deutlich. Sie zu akzeptieren ist Ausdruck des Respekts gegenüber der Privatsphäre des Einzelnen. Daraus folgt, dass die Anzahl von Belangen oder Themen, die als privat gelten, ziemlich hoch und diese Grenze schnell erreicht ist. Anders aus der indischen Perspektive – vor allem bei einer Auslandsentsendung – wie die Beispiele oben zeigen.

Was tun, um indische Mitarbeiter an das Unternehmen zu binden, statt sie abzuschrecken? Kommen in Ihr Unternehmen regelmäßig indische Mitarbeiter, z.B. für Projekte oder den Know-How-Transfer, braucht es eine Person – idealerweise älter als die indischen MitarbeiterInnen -, die sich nicht nur um deren Belange kümmert, sondern auch die Fähigkeit besitzt, sich auf einer persönlicheren Ebene auf sie einzustellen. Es geht dabei nicht nur um die Abwicklung von Problemen. Diese Person sollte interkulturell kompetent sein.

Mir ist wohl bewusst, dass diese Vorstellung zum Teil stark von typischen Aufgabenbeschreibungen in Deutschland abweicht, und dass es demnach nur auf freiwilliger Basis passieren kann oder an kulturell kompetente Dienstleister abgegeben wird.

Was passiert, wenn nichts passiert?

Sollte Ihr Unternehmen – intern oder extern – nicht die passenden Personen finden, dann betrifft dies in zweierlei Hinsicht den Ruf Ihres Unternehmens:

1. Innerhalb ihres eigenen kulturellen Umfeldes werden indische Mitarbeiter wenig Hemmung haben, ihre negativen Erlebnisse (= die „gefühlte“ Unfähigkeit ihrer Gegenüber) zu erzählen – zumal es ihnen der indirekte indische Kommunikationsstil ermöglicht, dies mit viel Humor zu tun. Netzwerke sind in Indien sehr aktiv und kommunikativ.

2. Die Gefahr besteht, dass die Fachkräfte, die Sie gerne rekrutieren würden, sich in einem anderen Umfeld (Firma oder gar Land) umschauen. Symptom dafür ist, dass es nach einer Zeit Ihrer Personalabteilung in Indien, auch mit dem besten Willen und Engagement, „irgendwie“ nicht mehr gelingt, tolle Kandidaten zu gewinnen.

Dies alles sieht nach Schwarzmalerei aus? Weil ich weiß, dass der gute Wille der großen Mehrheit der Führungskräfte und der Personalabteilungsmitarbeiter, die mir in Europa und speziell in Deutschland begegnen, ehrlich gemeint ist, möchte ich hier die Alarmglocken läuten. Ihre guten Intentionen werden zu oft durch die unterschiedlichen kulturellen Kontexte nicht wahrgenommen. Das ist doch wirklich schade, oder?

Isabelle Demangeat
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