Die Deutschen als Exoten

„Nimm’s nicht persönlich!“ Haben Sie diesen Ausspruch schon einmal gehört? Vielleicht von einem guten Freund, der Sie gerade ziemlich kritisiert hat? Nein, natürlich hat er nicht Sie persönlich kritisiert, sondern vielleicht nur Ihren Umgang mit einer bestimmten Situation. „Nimm’s nicht persönlich, ich kritisiere nicht dich, meine Kritik ist rein sachlich gemeint“, möchte er Ihnen damit sagen. Auch im Berufsleben ist dieser Ausspruch hin und wieder zu hören. Wie gut Sie darin sind, sich von sachlicher Kritik, z. B. an ihrer Arbeitsweise, nicht auch persönlich getroffen zu fühlen, steht allerdings auf einem anderen Blatt. Anmerken lassen wollen Sie sich das jedenfalls nicht.

Mit der strikten Trennung zwischen Beziehungen und Emotionen auf der einen Seite und einer reinen Sachorientierung auf der anderen Seite stehen wir Deutschen jedoch ziemlich allein auf der Welt da. Wir neigen ja dazu, andere Kulturen, wie zum Beispiel die asiatischen, als „völlig exotisch“ anzusehen. Tatsache ist jedoch, dass wir in dieser Hinsicht die eigentlichen Exoten sind.

Das 4-0hren-Modell

Laut Professor Doktor Friedemann Schulz von Thun und seinem sogenannten 4-0hren-Modell, auch bekannt als Kommunikationsquadrat oder 4- Seiten-Modell, entfaltet eine Aussage ihre Wirkung immer auf vier verschiedene Weisen. Sie enthält also immer vier Botschaften gleichzeitig, ob ich das will oder nicht.
Nehmen wir als Beispiel den harmlosen Satz „Kannst du bitte das Fenster schließen?“

Dieser Satz enthält zum einen eine Sachinformation: Ich informiere mein Gegenüber darüber, dass das Fenster geöffnet ist.

Die zweite Botschaft ist die Selbstkundgabe, ich gebe etwas von mir zu erkennen: Das Fenster ist offen, mir ist es zu kühl.

Die dritte Botschaft enthält einen Beziehungshinweis, sie verrät, was ich von meinem Gegenüber halte und wie ich zu ihm stehe.

Was meinen Sie, würden Sie eher zu Ihrem Chef oder zu Ihrem Kollegen sagen: „Kannst du bitte das Fenster schließen?“ Vermutlich würden Sie im Büro Ihres Chefs eher fragen: „Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das Fenster schließe?“ Vielleicht würden Sie auch gar nichts sagen und lieber frieren. Ein einfacher Satz wie „Kannst du bitte das Fenster schließen “ beinhaltet also auch immer einen Hinweis auf das Verhältnis, in dem zwei Menschen zueinander stehen.

Die letzte Botschaft ist der Appell, also das, was Sie mit der Aussage erreichen möchten. Sie möchten, dass das Fenster geschlossen wird.

Sie übermitteln jedoch nicht nur vier Botschaften, sondern Ihr Gegenüber hört auch verschiedene Botschaften und wird sich, je nach Stimmung, Situation und zwischenmenschlichem Verhältnis, vielleicht nur eine Botschaft aussuchen.

Wenn er nur mit seinem Beziehungsohr hört, kann so eine simple Frage wie „Kannst du bitte das Fenster schließen?“ mitunter Ärger hervorrufen. „Wer bist denn du, dass du von mir erwartest, dass ich für dich jetzt aufstehe und das Fenster zumache? Mach’s doch selbst zu!“

Noch deutlicher wird dieses „Hören auf dem Beziehungsohr“, wenn Sie sich vorstellen, dass ein Mann und eine Frau zusammen im Auto sitzen, die Frau fährt und ihr Mann sagt zu ihr: „Da hinten ist die Ampel rot.“ Glauben Sie, die Frau wird denken: „Wie lieb von meinem Mann, er weist mich auf eine rote Ampel hin“? Oder hört sie vielleicht etwas ganz anderes?


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Unser Rückzug aufs rein Sachliche

Das Problem mit uns Deutschen ist nun, dass wir davon ausgehen, dass unsere Mitmenschen im internationalen Geschäftsleben in der Lage sind, nur auf der Sachebene mit uns zu kommunizieren. Wir ziehen uns sehr gerne aufs rein Sachliche zurück. Emotionen und Persönliches haben unserer Ansicht nach im Geschäftsleben eher nichts zu suchen. Was zählt, sind Fakten, effizientes Arbeiten und gute Resultate. Ob ich meinen Verhandlungspartner menschlich sympathisch finde oder nicht, spielt für einen gelungenen Geschäftsabschluss überhaupt keine Rolle. So denken wir.

ln den meisten anderen Kulturen dieser Welt ist das anders. In vielen Ländern wird großer Wert darauf gelegt, sein Gegenüber zunächst als Menschen kennenzulernen und zu ihm eine persönliche Beziehung aufzubauen, bevor man mit ihm Geschäfte macht. Man möchte zuerst wissen, ob man dem potenziellen Geschäftspartner menschlich vertrauen kann, bevor man ihm auch sein Geld anvertraut.

Auch eine strikte Trennung zwischen privat und beruflich, wie bei uns die Norm, findet überhaupt nicht statt. In vielen Ländern sind Arbeitskollegen und sogar Geschäftspartner immer auch Freunde. In Asien zum Beispiel ziehen sich Geschäftsverhandlungen häufig bis weit in die Nacht hinein. Allerdings hält man sich in einer Karaoke-Bar auf und hat gemeinsam Spaß beim Singen und Trinken.

Nichtsdestotrotz werden auf diese Weise oft die besten Geschäfte gemacht. Waren Sie schon einmal mit deutschen Geschäftspartnern in einer Disko? Wohl eher nicht.

In Ungarn werden Sie keine Geschäfte machen, wenn Sie nicht bereit sind, etwas aus Ihrem Privatleben preiszugeben. Man möchte Sie persönlich kennenlernen, die Vorzüge einer geschäftlichen Kooperation stehen erst an zweiter Stelle.

Auch in der Türkei sind die persönlichen Beziehungen, die Sie aufbauen, für das Gelingen Ihres Projekts wesentlich wichtiger als inhaltliche Fragen. Und wenn Sie in arabischen Ländern den vermeintlich belanglosen Small Talk unterschätzen, haben Sie keine Chance, als Geschäftspartner ernst genommen zu werden.

Wahrhaftigkeit oder Harmonie?

Wie wirken wir auf andere Kulturen mit unserer Trennung zwischen Sache und Person? Unser strikter Rückzug auf die Sachebene ermöglicht uns Deutschen eine sehr direkte Kommunikation mit starken Botschaften, die von anderen Kulturen mitunter als sehr brüsk oder sogar unhöflich wahrgenommen werden.

Wir sagen oft „Nein „, wenn uns etwas nicht passt oder „keine Ahnung“, wenn wir etwas nicht wissen. Das ist nicht böse gemeint. Wenn wir Deutsche die Wahl haben zwischen Harmonie zwischen den Gesprächspartnern und Wahrhaftigkeit, entscheiden wir uns lieber für die Wahrhaftigkeit, auch wenn das die Harmonie gefährdet und beim Gegenüber negative Emotionen hervorruft.

Bei uns gilt es als wichtiger Wert, zu seiner eigenen Meinung zu stehen, auch wenn das bedeutet, dass man andere gegen sich aufbringt.

Offenheit oder Harmonie?

Ein weiterer Wert, den wir Deutsche schätzen, ist Offenheit. Dies zeigt sich besonders in unserem Umgang mit Konflikten. Wir leben in dem Glauben, dass man alle Dinge offen ansprechen kann und auch muss. Und zwar deshalb, damit dann, im Streitfall, ein gemeinsamer Kompromiss gefunden werden kann und die Dinge vorwärts gehen.

Diese Form des offenen Ansprechens von Konflikten ist in vielen Kulturen nicht möglich. In Japan oder Südkorea beispielsweise werden Konflikte lieber ignoriert und isoliert. Es kann also sein, dass Sie in Japan arbeiten und alle scheinen mit Ihnen zufrieden zu sein. Sie merken nicht einmal, dass es Probleme gibt.

Jeder bemüht sich, die Unstimmigkeiten, die Ihr Verhalten hervorruft, zu ignorieren und so gut wie möglich um Sie herum zu arbeiten. Irgendwann sind Sie jedoch völlig isoliert und wundern sich, wieso Sie mit Ihrem Projekt keinen Schritt weiterkommen.

Auch in lndonesien wird solange alles harmonisch ablaufen, bis jemand Amok läuft. „Amok“ ist übrigens ein indonesisches Wort und bezeichnete früher keine Einzeltat, sondern im Gegenteil, eine kriegerische Aktion, bei der einige wenige Krieger eine Schlacht dadurch zu wenden versuchten, indem sie ohne jegliche Rücksicht auf Gefahr den Feind blindwütig attackierten.

In lndonesien kann es Ihnen also passieren, dass Sie munter vor sich hinarbeiten und sich plötzlich mit Reaktionen Ihrer indonesischen Arbeitskollegen konfrontiert sehen, die Ihnen absolut überzogen erscheinen und die aus heiterem Himmel über Sie hereinbrechen. Sie haben die Anzeichen des schwelenden Konflikts schlicht nicht sehen können, da alle immer um Harmonie bemüht sind, bis es eben nicht mehr anders geht.

Wer reagiert wie?

Die vier unterschiedlichen Botschaften einer Aussage werden unterschiedlich aufgenommen, wenn Kulturen, in denen eher sachlich, direkt und offen kommuniziert wird, mit Kulturen in Kontakt kommen, in denen eher beziehungsorientiert, indirekt und auf die Harmonie bedacht kommuniziert wird. Welches Ohr eine Aussage am stärksten aufnimmt, wie stark wir auf welche Botschaft reagieren, hängt unter anderem von unserer kulturellen Prägung ab.

Was tun?

Was kann man tun? Eines ist ganz klar: Keiner kann aus seiner Haut. Und Sie werden es auch nicht schaffen, Ihre eigene kulturelle Identität so weit zu verleugnen, dass auch Sie plötzlich die Harmonie über alles stellen oder keinerlei Trennung zwischen Ihrer Arbeit und Ihrem Privatleben mehr machen. Das sollen Sie auch gar nicht.

Im Umgang mit anderen Kulturen ist es immer auch wichtig, authentisch zu bleiben. Es hilft jedoch, wenn man sich dieser Eigenart der Deutschen, nämlich des konsequenten Rückzugs auf die Sachebene, zumindest bewusst ist. Auch sollte man wissen, dass man mit dieser Eigenart bei anderen Kulturen auf Unverständnis stößt. Die Folge können Missverständnisse und im schlimmsten Fall eine gescheiterte Geschäftsbeziehung sein.

Autor Steffen Henkel

Steffen Henkel ist der Geschäftsführer und Inhaber der crossculture academy. Er ist seit über 20 Jahren im Bereich interkultureller Trainings beschäftigt und somit einer der bekanntesten Ansprechpartner zu dem Thema in Deutschland.

Steffen Henkel

Steffen Henkel ist Geschäftsführer und Inhaber der crossculture academy. Er ist seit über 20 Jahren im Bereich interkultureller Trainings und Entsendungen tätig. Seine Expertise ist international gefragt.

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